Erschreckende Parallelen...
Was ich nicht wusste:
https://www.krebshilfe.de/50-jahre-deutsche-krebshilfe/mildred-scheel-gruenderin-und-visionaerin/
Zurzeit geht eine Zitronen-Challenge von ME/CFS research viral.
Damit will die Organisation zum einen ME/CFS bekannter machen, zum anderen
Spenden generieren.
Vorab
Da ich selbst vor zwei Jahren für kurze Zeit mit einem früheren Gründer und
Geschäftsführer der Organisation ehrenamtlich zusammengearbeitet habe und
damals in einem 22seitigen Marketingkonzept eine Promi-Challenge vorgeschlagen
habe, bin ich persönlich betroffen angesichts der Tatsache, dass meine
damaligen Ideen verwendet werden, ohne mir Bescheid zu sagen. Damals wurden die
Vorschläge abgelehnt. Kein guter Stil… und angesichts der schlechten Umsetzung
sehr ernüchternd.
Warum ich nicht teilnehme
a) Eine Challenge ist für GESUNDE und PROMIS gedacht (siehe Ice Bucket Challenge).
Sie ist in der Regel nicht dazu da, dass Erkrankte sich in Videos erklären
müssen. Die Organisation ruft jedoch auch Betroffene dazu auf, in Zitronen zu
beißen.
b) Viele Betroffene haben große Probleme mit histaminhaltigen Lebensmitteln und
dürfen daher gar keine Zitrusfrüchte mehr zu sich nehmen. Ich z.B. würde
wahrscheinlich in einen anaphylaktischen Schock rutschen, wenn ich in eine
Zitrone beißen würde. Damit zeigt sich leider, dass die Organisation sich noch
nicht mal die Mühe gemacht hat, über die Erkrankung nachzudenken. Sie ruft
Erkrankte explizit auf, mitzumachen. Wenn man bedenkt, wie viele ME/CFSler aufgrund
der unzureichenden Aufklärung und Diagnostik noch nicht wissen, dass sie
Histaminprobleme haben könnten, kann das für einige sehr gefährlich werden bzw.
zu einem Crash führen.
c) Im Netz kursieren daher von Betroffenen u.a. Ideen, Zitronen auf ein Blatt
Papier zu malen und in das Blatt zu beißen. Damit wird schon deutlich, dass die
Challenge ins Aberwitzige abrutscht.
d) Es gab in der Vergangenheit und in der Gegenwart bereits einige Lemon Challenges,
die fast alle mit Spaß, Erfrischung, Gesundheit und Co. verbunden wurden. Siehe dazu auch folgenden Link: Zitronenschale essen – nach 45 Minuten wirst du high davon . Wenn
man nach „Lemon Challenge“ googelt, findet man daher zig Videos von lachenden Menschen und Wettbewerben, in denen es darum, geht, keine Miene zu verziehen. Damit ist das Thema leider
verfehlt. Der Streuverlust ist zudem zu groß.
e) Es stimmt traurig, dass für so eine schwere Erkrankung noch nicht mal ein
Alleinstellungsmerkmal gefunden wurde – sondern einfach frühere bzw. aktuelle Challenges
völlig unkreativ nachgeahmt wurden.
f) Da Zitronen für Frische, Energieschub, Gesundheit, Vitamine, prickelnder Spaß
und Co. stehen, ist der Versuch, den Zusammenhang zwischen einem Biss in die
Zitrone und der unaushaltbaren Reizüberflutung bei ME/CFS darzustellen, leider
gescheitert. Zitronen fördern die Darmgesundheit, geben Energie und Klarheit. Besser wäre es dann wirklich gewesen, garkeinen Zusammenhang
zwischen dem Zitronenbiss und der Erkrankung darstellen zu wollen. Damit könnte
man vielleicht noch leben. Ansonsten wird wieder verharmlost ohne Ende.
g) Die meisten gemeinnützigen Organisationen haben inzwischen begriffen, dass
die Spendenbereitschaft der Menschen steigt, wenn konkrete Projekte benannt
werden – und die Menschen sich dann entscheiden können, für welches Projekt sie
spenden wollen. Das macht inzwischen jeder gute Tierschutzverein sowie Unicef
oder, oder… . Bei ME/CFS research scheint diese Information noch nicht
angekommen zu sein.
h) Da ich persönlich manche Forschungsprojekte und -vorhaben in Deutschland zurzeit sehr kritisch sehe, würde ich nie ins Blaue hinein spenden. Andererseits gibt es Projekte, für die ich liebend gern spenden würde, wenn ich die Möglichkeit hätte. Hier fehlt mir jedoch die Transparenz und die Möglichkeit der zielgerichteten Spende bei ME/CFS research.
i) Darüber hinaus ist das Timing für viele Spendenwillige zu spät. Großspender bzw.
Firmen haben meist bereits im November entschieden, wofür sie spenden wollen.
Die meisten Weihnachtsfeiern fanden schon statt. Und auch die meisten Organisationen,
die zur Weihnachtszeit Spenden einsammeln, hatten sich bereits vorher brieflich
oder per Mail bei potentiellen Spendern gemeldet.
j) Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass viele Beteiligte mit Spaß an dieser
Aktion teilnehmen werden. Es wird eine Gaudi für viele werden. Wenn sie die brauchen, dann nur zu. Aber ich bezweifle stark, dass
die Challenge der erwünschten Erfolg bringen wird.
j) Da eine Challenge nur eine einmalige Chance birgt (missglückte Werbekampagnen kann man vergessen bzw. verbessern, eine Challenge bleibt in den Köpfen), ist wieder einmal eine Chance vertan, in Deutschland angemessen über die Erkrankung aufzuklären. Das ist wirklich schade.
Statement der deutschen ME/CFS-Gesellschaft zur umstrittenen Plakatkampagne, über die ich hier bereits berichtete , zu finden auf
https://www.mecfs.de/statement-zum-mecfsaufklaerungswinter/
"Wir haben beschlossen, die Kampagne #mecfsAufklärungwinter zu pausieren, und zwar aus den folgenden Gründen:
Der Kerngedanke unserer Kampagne war, Betroffene (oder ihre Angehörigen) zu erreichen, denen ME/CFS als mögliche Ursache ihrer Beschwerden unbekannt ist. Daher haben wir den Fokus darauf gelegt, einzelne Symptome in einfachen Worten zu beschreiben, um Interesse zu wecken und Zugang zu weiteren Informationen über die Krankheit zu ermöglichen.
Wir haben in den letzten Tagen viele Rückmeldungen zu der Kampagne erhalten – sowohl Ermutigendes als auch kritische Worte. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass in einigen Motiven das Stereotyp der „müden Kranken“ reproduziert wird. Dabei handelt es sich um ein Stereotyp, gegen das wir selbst an anderer Stelle energisch vorgehen (zum Beispiel mit eigenen Pressefotos, Sensibilisierungsgesprächen mit Journalist*innen oder Trauergängen). Wir waren davon ausgegangen, dass die Abbildung eines einzelnen Symptoms sowie die in Kombination erhältlichen Informationen auf unserer Internetseite das Stereotyp ausreichend entkräften. Die Rückmeldungen haben uns gezeigt, dass dies nicht der Fall war.
Wir werden nun besprechen, wie wir die Rückmeldungen und Kritikpunkte am besten umsetzen. Dafür brauchen wir etwas Zeit, zumal die Mitglieder unseres ehrenamtlichen Teams größtenteils selbst erkrankt sind. Sobald es einen neuen Zeitplan gibt, werden wir auf Social Media und über unseren Newsletter darüber informieren.
Wir bedanken uns bei den vielen engagierten Helfer*innen. Wir wissen, dass die Pausierung nun unvorhergesehen ist und Kraft kostet, und bitten insbesondere die Engagierten um ihr Verständnis, die bereits viel Arbeit investiert haben. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Unser Anspruch ist es, unsere Arbeit am Wohle aller Betroffenen auszurichten, daher nehmen wir die geäußerte Kritik ernst.
Nicht mehr stornierbare Flächen können am besten mit dem Standardplakat Motiv 6 („Es gibt wahrscheinlich keine andere Erkrankung, die so häufig und schwer und dabei so untererforscht und unbekannt ist wie ME/CFS“) bestückt werden. Die übrigen Motive sollen bis auf weiteres nicht benutzt werden.
Wir möchten zuletzt noch darauf hinweisen,
dass Posts von Einzelpersonen in den sozialen Medien, die nicht von den
Accounts der beteiligten Organisationen ausgehen, nicht unsere
offizielle Position widerspiegeln."
Von ganzem Herzen danke für diese weise und kluge Entscheidung!
Lange haben Betroffene und Angehörige auf eine breit angelegte Aufklärungskampagne für ME/CFS in Deutschland gewartet. Während in Österreich (https://mecfs.at/ oder https://stroeck.at/me-cfs-awareness-und-spendenkampagne/) einige vorbildliche Kampagnen bereits starteten, ließ man sich in Deutschland etwas Zeit.
Nun ist es soweit
Die Initiative
#LiegendDemo und die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS haben dankenswerterweise den
#mecfsAufklärungswinter ins Leben gerufen. Der Patientenverein Fatigatio unterstützt die
Aktion organisatorisch.
Interessierte, die sich an der Aktion
beteiligen möchten, können die Aufklärungsposter und Flyer selbst ausdrucken oder über eigene Kosten bei flyeralarm bestellen und diese in der
eigenen Stadt oder dem eigenen Umfeld, wo es erlaubt ist, verteilen.
Die Kampagne
besteht aus sechs Plakaten, die jeweils ein einzelnes Symptom der Erkrankung aufzeigen sowie einem Flyer. Alle Motive können Sie unter dem link https://www.mecfs.de/mecfsaufklaerungswinter/ anschauen. Auch die Druckdaten sind dort als Download verfügbar.
Starke Kritik
Die Kampagne steht bereits vor Start stark unter Beschuss. Vor allem ein Plakatmotiv (" müde Frau mit Kaffeetasse" zum Symptom "unerholsamer Schlaf") wird zurecht scharf kritisiert.
Mit diesem Motiv agierte die deutsche Gesellschaft für ME/CFS nicht nur gegen ihre eigenen Presserichtlinien ("Verwenden Sie keine Stockbilder von „müden“ oder „erschöpften“ Menschen.", siehe https://www.mecfs.de/presse/infos-zu-me-cfs/), sondern verharmlost die Erkrankung unfreiwillig.
Leider reagieren die Patientenorganisationen bisher nicht auf die gerechtfertigte, oft differenzierte Kritik der Betroffenen, die sich zurzeit zu Recht echauffieren.
Auch bei anderen Plakaten ist sehr fraglich, ob die Zielsetzung, über ME/CFS aufzuklären, wirklich erreicht werden kann.
M.E. haben die Patientenorganisationen mit dieser Kampagne, die sicherlich gut gemeint war, einige Fehler gemacht:
a) Sie haben die Hauptzielgruppe und ihre Vereinsmitglieder nicht vor Werbestart ins Boot genommen sowie die grundlegende Marktforschungsmaßnahmen übergangen, die für den Erfolg einer Werbekampagne notwendig sind. Es gab keinerlei Panel-Befragungen unter den Betroffenen oder Vereinsmitgliedern - obwohl dies in einem Verein kostengünstig möglich ist.
b) Sie haben die Symptome der ME/CFS zwar alle aufgelistet - jedoch auf einzelnen Plakaten. Damit haben sie völlig außer Acht gelassen, dass nirgendwo sechs Plakate nebeneinander Platz haben werden, sondern dass meist nur ein einziges Plakat Platz haben wird. Die Plakate zusammen haben eine akzeptable Wirkung, solange man das Bild mit der müden Frau rausnimmt. Denn sie zeigen das Portfolio der Symptomlast auf. Wird jedoch nur ein Plakat genutzt, ist die Botschaft kaum nachvollziehbar bzw. missverständlich. Zudem wird die Schwere der Erkrankung sowie die niedrige Lebensqualität vieler Betroffener nicht klar kommuniziert. Bagatellisierung trifft es auf den Punkt. Damit wird mehr Verwirrung und Schaden als Nutzen entstehen.
c) Sie haben bei der Gestaltung der Plakate nicht darauf geachtet, dass Privatpersonen diese kostengünstig drucken können. Mit einem vollblauen Hintergrund und negativer Schrift werden die Tonerkosten eines in die Höhe steigen. Bei einem solchen Vorhaben wäre ein Hauch Praktikabilität und Knowhow von Vorteil gewesen.
d) Sie reagieren aktuell nicht auf die Kritik der Vereinsmitglieder und Betroffenen, sondern stellen sich stumm.
Das alles ist in Hinblick auf das Commitment der Vereinsmitglieder und Betroffenen sowie den Erfolg der Kampagne ein Riesenfehler - v.a. wenn man bedenkt, dass die Betroffenen die Kampagne durch Druck und Verteilung von Postern und Flyer aktiv und finanziell unterstützen sollen.
Um die Kampagne noch zu retten wäre es gut,
a) das Plakat mit der müden Frau und der Kaffeetasse (wer mit ME/CFS darf noch Kaffee trinken???) zu entfernen,
b) sich bei den Vereinsmitgliedern und Betroffenen für die Nicht-Reaktion zu entschuldigen und v.a.
c) nur die unstrittigen Plakate und Flyer für die Kampagne zu nutzen,
d) bei der Whatsapp-Kampagne z.B. die Musik auszustellen, da Betroffene diese zum Teil garnicht aushalten können. Selbst ich mit Bell 60 finde das sehr anstrengend.
Für die Zukunft ist es unabdingbar, die Vereinsmitglieder und Betroffenen bei der Erstellung solcher Kampagnen mit ins Boot zu holen. Denn die Organisationen werden nun mal u.a. von den Betroffenen getragen. Und auch wenn viele in den Organisationen ehrenamtlich unterwegs sind, so sollte zukünftig der Qualitätsanspruch sowohl in Bild und Sprache zudem ein anderer sein. Man kann das besser machen wie Österreich oder auch der Weltverband für Physiotherapie bereits gezeigt haben. Auch die deutschen Patientenorganisationen haben bisher vorbildlich gearbeitet. Daher verwundert dieses aktuelle Resultat und Dilemma umso mehr!
Daher mein Aufruf bei Facebook:
Langsam ist es nicht nur Verwirrung, sondern ein heftiger Skandal.
Nachtrag vom 19.11.2024:
Die Kampagne wurde gestoppt!
Siehe dazu auch folgenden Beitrag:
Statement der deutschen ME/CFS-Gesellschaft zur umstrittenen Plakatkampagne: Stopp!
Der Verein gemeinsam zusammen e.V., der sich deutschlandweit für die Stille Stunde in Geschäften und Freizeiteinrichtungen einsetzt, möchte am 20. Oktober ein Zeichen für die unsichtbar Behinderten setzen.
Dieser Tag soll zum 1. Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen werden.
Zu den nicht sichtbaren Behinderungen gehören u.a. ADHS, Autismus, Epilepsie, Schizophrenie, geistiger Behinderung oder Lernbehinderung, aber auch Erkrankungen wie MCS, ME/CFS, MCAS, PTBS etc. etc.
In dem Aufruf des Vereins werden folgende Möglichkeiten aufgezeigt, am 20. Oktober sichtbar zu werden, um deutlich zu machen, dass Barrierefreiheit auch für ME/CFSler und MCASler gilt:
18 Monate nach unserer Hochzeit - und dem Gefühl, wieder geheilt zu sein - sollte ich vor einem Desaster stehen, da ich einige Monate nach der Hochzeit starke Muskelbeschwerden entwickelte, die als Fibromyalgie diagnostiziert wurden. Einige Monate später kamen die ersten heftigen Krampfanfälle hinzu, deren Häufigkeit und Dauer stark zunehmen sollten. Diese Anfälle bereiteten mir unfassbare Schmerzen, nahmen mir jegliche Kontrolle und ließen mich zutiefst beschämt zurück. Nicht nur einmal landete ich damit in der Notaufnahme, wurde jedoch am nächsten Morgen wieder entlassen. Diagnostiziert wurden diese Anfälle damals als dissoziative Krampfanfälle.[1] Trotzdem arbeitete ich weiter, auch wenn ich mich nach einem Jahr entschied, nur noch eine Halbtagsstelle wahrzunehmen. Mein neuer Arbeitgeber hatte diesbezüglich zum Glück sehr viel Verständnis. Ich hoffte, dass sich mein Gesundheitszustand dadurch wieder verbessern könnte. Aber es funktionierte nicht mehr. Ich war bereits zu geschwächt. Nach weiteren sechs Monaten musste ich mich wieder krankschreiben lassen. Damals war ich an einem Tiefpunkt angelangt und wusste einfach nicht mehr weiter. Es gab einige Momente, in denen ich darüber nachdachte, aufzugeben. Mein so unerschütterlicher Kampfgeist, der mich über Jahrzehnte aufrecht gehalten hatte, war erloschen. Ohne meinen Mann hätte ich meine Gedanken wahrscheinlich in die Tat umgesetzt.
Aber dank ihm und meiner Behandler bewarb ich mich bei einer Traumafachklinik,
die sich auch mit dissoziativen Krampfanfällen auskannte. Obwohl diese nach
einem Vorgespräch bereit war, mich aufzunehmen, stellte sich die Krankenkasse
quer. Nur mit viel Geduld und mit Hilfe meiner Behandler sowie einem Anwalt
schaffte ich es, die Genehmigung für einen Aufenthalt zu bekommen. Wie viel
Kraft mich das alles kostete und wie instabil ich seelisch und körperlich war,
merkte ich spätestens in der Klinik selbst. Aber diese Klinik hat mir im
Nachhinein das Leben gerettet. 2007 verbrachte ich dort zwölf Wochen. Zwölf
Wochen, in denen ich lernte, mit all meinen Symptomen umzugehen, mich selbst zu
stabilisieren und erste Selbstfürsorgemaßnahmen umzusetzen. Darüber hinaus
lernte ich neue Qi Gong-Übungen kennen und lieben. Vor allem aber wurde mir
klar, dass ich mein Leben grundlegend ändern muss, wenn ich weiterleben möchte.
Noch von der Klinik aus hatte ich einen Termin bei der Rentenversicherung, wo
ich meinen Rentenantrag einreichte. Begründet wurde dieser mit meinen schweren
Traumafolgestörungen. Die körperlichen Probleme wurden als rein psychosomatisch
gedeutet, was ich damals selbst glaubte. Mein Mann und ich entschieden uns
trotzdem, in eine ruhigere Wohngegend und v.a. in eine Erdgeschosswohnung
umzuziehen, damit ich keine Treppen mehr steigen musste. Die Diagnose "ME/CFS" war jedoch nach wie vor kein Thema!
Der Kampf um die Rente sollte sich jedoch nochmals zuspitzen, nachdem ein
Gutachter mich wieder eine stationäre Reha schicken wollte, obwohl alle meine
Behandler dafür plädierten, dass ich in meinem Zustand nicht mehr rehatauglich
sei. Auch die Krankenkasse bestand auf eine nochmalige Reha. Der
Gutachtertermin verlief daher katastrophal. U.a. wurde ich mit einem
Krampfanfall allein im Behandlungszimmer liegen gelassen. Zum Glück hatte ich
damals auf eine Begleiterin bestanden, so dass ich eine Zeugin hatte. Zusammen
erstellten wir ein Gedächtnisprotokoll und schickten sofort an die
Rentenversicherung. Der VdK war mir in diesem Fall jedoch keine große Hilfe. Wieder
musste ich von meiner Seite einen Anwalt einschalten. Dank ihm konnte diese
Angelegenheit zu meinen Gunsten entschieden werden. Die Rentenversicherung
übernahm damals sogar die Kosten für die anwaltliche Beratung, da sie den
Fehler einsah. Zudem bewilligte sie mir eine befristete EM-Rente für drei Jahre.
Einerseits begrüßte ich die Entscheidung mit Erleichterung. Andererseits
brauchte ich sehr lange, um mit diesem Schritt emotional klarzukommen und
diesen auch gutheißen zu können.
mein umfeld
Seit Ende 2007 war ich nun
rückwirkend berentet und „vogelfrei“, wie ich es gern bezeichnete. Es war ein
sehr merkwürdiges Gefühl, plötzlich ohne jegliche Verpflichtungen in den Tag
hineinzuleben. Anfangs fiel mir das sehr schwer, da ich sehr gern gearbeitet
habe. Schwierig wurde es teilweise auch im Kontakt mit Bekannten, da ich auf
die Frage „Was machst Du gerade?“ eine Antwort gab, mit der Leute mit Mitte 30
in der Regel kaum umgehen konnten. Parties, auf denen ich mich nicht mehr
wohlfühlte, erinnerten mich an einen Spießrutenlauf. In dieser Zeit wurde auch
deutlich, auf wen ich in meinem Bekannten- und Freundeskreis wirklich zählen
konnte – und auf wen nicht. Hier sollte ich mich in einigen sowohl in die
positive als auch in die negative Richtung getäuscht haben. Emotional war diese
Phase allein dadurch schon eine Berg- und Talfahrt. Auch familiär wurde es sehr
schwierig, da ich aufgrund der Trauma-Erinnerungen zum Schwarzen Schaf wurde,
das nicht mehr bereit war, alte Geheimnisse zu verschweigen. Ich stieß damit
weniger auf Verständnis, als ich mir erhofft hatte. Die Familienmitglieder
reagierten zum Teil sehr ungläubig, zum Teil jedoch auch mit Vorwürfen. Mit
meiner Erkrankung konnten die wenigsten umgehen. Daher musste ich mich
schützen. Mir blieb bei einigen nur der Schritt zur Kontaktpause bzw. zum
endgültigen Kontaktabbruch. Dies alles war für mich emotional sehr belastend,
da ich meine Familie trotz allem über alles liebe. Professionelle Unterstützung
hatte ich in der Zeit von meinem Hausarzt, meiner Therapeutin sowie meinem
Seelsorger.
Durch unseren Umzug in einen anderen, sehr viel ruhigeren, Stadtteil konnte ich
jedoch neu anfangen. Wir erfüllten uns zudem einen großen Wunsch, indem wir
einen Hund aus dem Tierschutz übernahmen. Dieser gab mir sehr viel Halt und
Struktur, auch wenn er anfangs alles andere als leicht war und eine
Resozialisierung benötigte. Aber durch den Hund und die vielen langen Spaziergänge
baute ich mir auch einen neuen Bekanntenkreis auf, der mich in erster Linie als
„Frauchen von Coco“ sah – und nicht nachfragte, was ich beruflich mache. Dies
entlastete sehr. Darüber hinaus hatte ich weiterhin meine Freunde, die mir zur
Seite standen und mich auch nach dem Rentenbeginn nicht im Stich ließen. Das
war für mich enorm wichtig. Am allerwichtigsten war jedoch mein Mann, der mich
in all meinen Vorhaben unterstützte und mit darauf achtete, dass ich meine neuen
Grenzen einhielt. So vereinbarten wir z.B., dass wir bei Treffen mit Freunden
nach 2,5 Stunden langsam Schluss machen. Auch wenn mir damals das Adrenalin oft
noch vorgaukelte, dass ich längere Termine schaffen kann, machte mein Mann jedes
Mal die notwendige Ansage.
traumatherapie und selbstfürsorge
Parallel führte ich meine
intensive Traumatherapie fort. Anfangs ging es hauptsächlich um die
Selbstfürsorge und die weitere Stabilisierung. Manche Maßnahmen fielen mir
jedoch schwerer, als ich dachte. Denn in meinem Innersten gab es noch viele
Widerstände, mich mehr zu „verwöhnen“. Aber Schritt für Schritt schaffte ich
es, ein Gleichgewicht in den Alltag zu bekommen. Trotzdem hatte ich nach wie
vor Krampfanfälle, die vor allem dann auftraten, wenn ich mich überfordert oder
zu wenig gegessen hatte. Die Traumatherapeutinnen waren überzeugt, dass mein
„Inneres Kind“ durch die Krampfanfälle spricht. Daher suchte ich in der
Traumatherapie weiter nach den emotionalen Triggern, anstatt mir deutlich zu
machen, dass v.a. die körperliche Überforderung verantwortlich für meine
körperlichen Ausnahmezustände sind.
2009 war ich nochmals für neun
Wochen in der Traumafachklinik, in denen ich mich mit meinen inneren Anteilen
beschäftigt habe. U.a. schaffte ich es, auch die boykottierenden Anteile zu
einer Mithilfe bei meinen Selbstfürsorgemaßnahmen zu überzeugen. Gleichzeitig
wurde deutlich, dass ich einerseits emotional sehr viel stabiler war als noch
während des ersten Aufenthalts. Anderseits zeigte sich eine deutlich
gesteigerte körperliche Erschöpfung. Z.B. ertrug ich es nicht mehr lange, mit
den anderen Patienten im Gemeinschaftsraum zu sitzen. Sie waren mir viel zu
laut. Gleichzeitig musste ich mehr Therapien absagen, da die Schwäche und die
Krampfanfälle mir einen Strich durch die Rechnung machten. Daher zog ich mich
sehr zurück, was nicht ungesehen blieb. Aber auch hier wurde von keinem
einzigen Behandler daran gedacht, dass es eventuell auch eine körperliche
Ursache für die Erschöpfung geben könnte.
Wieder zuhause führte ich
weiterhin meinen kleinen, feinen Alltag fort. Ich lebte mit meinem Mann ein
ruhiges Leben und machte meine Spaziergänge mit dem Hund. Um etwas zu dieser
Gesellschaft beitragen und helfen zu können, gründete ich mit einem ehemaligen
Kollegen einen Blog, in dem ich zu Sozialthemen geschrieben und Menschen
beraten habe. Da ich meine Selbstfürsorgemaßnahmen weiter stark ausbaute, ging
es mir auch körperlich etwas besser. In dem Zuge verlor ich jedoch nochmals
zwei sehr gute Freunde, weil diese einfach nicht verstehen konnten, warum ich
nicht mehr stundenlang telefonieren konnte. Sie warfen mir Egoismus vor, obwohl
ich mehrfache Versuche machte, zu erläutern, was mich an Telefonaten so
anstrengt. Beide Vorfälle beschäftigten mich sehr. Dank meiner Therapie konnte
ich jedoch darüber reden und diese Enttäuschung verarbeiten.
Emotional ging es mir damit immer besser. Aber körperlich kamen immer mehr
unerklärliche Symptome. Vor allem ein inneres Vibrieren in meinem Kopf war für
mich teilweise unerträglich. Eine Erklärung wurde jedoch nicht gefunden. 2010
wurde meine EM-Rente um weitere drei Jahre verlängert, bis sie 2013 auf
Lebenszeit bewilligt wurde. Der letzte Gutachter attestierte mir eine
Neurasthenie[2].
überforderung rächt sich
Die Zeit verging. Ich hatte mich an das kleine, feine Leben und meine Erkrankungen gewöhnt. Da unser erster Hund älter wurde, wurden unsere Spaziergänge kürzer und gemütlicher. Dies führte dazu, dass ich wieder etwas mehr Kraft hatte und einen wöchentlichen Qi Gong-Kurs beginnen konnte, was ich sehr genoss. Darüber hinaus traute ich mich, vorerst mit der Traumatherapie aufzuhören und dafür ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe anzufangen. Anfangs tat mir das sehr gut. Ich freute mich vor allen Dingen darüber, neue Menschen kennenzulernen und ein wenig helfen zu können. Mit der Zeit nahm ich jedoch immer mehr Aufgaben an. Parallel pflegte ich unseren alten Hund, der nachts immer öfters rausmusste. Im Nachhinein hätte ich damals das Ehrenamt stoppen müssen, um mir tagsüber genügend Ruhe zu gönnen. Da ich jedoch kurz vorher einen Bürgerpreis für mein Engagement erhielt, traute ich mich nicht, damit aufzuhören. Es fühlte sich an wie Verrat gegenüber den Schutzbefohlenen, die ich sehr liebgewonnen hatte. Die Quittung bekam ich, nachdem unser erster Hund starb und wir uns eine neue Hündin aus dem Tierschutz holten, die jedoch sehr früh schwerkrank wurde. Wieder pflegte ich ein Tier, wieder schlief ich kaum. Die Anzahl meiner Migräne-Attacken nahm zu. Selbst eine Botox-Therapie, die von einer Neurologin angeboten wurden, half nicht mehr. Mir war klar, dass ich die Flüchtlingshilfe wieder aufgeben muss. Mein Pflichtbewusstsein war jedoch nach wie vor sehr stark. Daher entschied ich mich, wieder eine Verhaltenstherapie zu machen, um mit emotionaler Unterstützung den Absprung aus der Flüchtlingshilfe zu schaffen.
Leider verselbständigte sich dann jedoch der Prozess. Ende 2018 hatte ich
starke Schmerzen in der rechten Leiste, die mich zweimal in die Notaufnahme führten.
Anfang 2019 wurde ich operiert, da die Ärzte der Meinung waren, dass ich eine
Eileiter-Zyste habe. Im Nachhinein war es eine Fehldiagnose, die mich einen
Eileiter kostete. Sie hatten den bevorstehenden Eisprung im CT mit einer Zyste
verwechselt.
Bereits nach der Narkose wachte
ich zitternd und zähneklappernd auf. Laut des Pflegepersonals im Aufwachraum
litt ich unter einem postoperativen Shivering Syndrom. Später entwickelte ich
noch eine starke Migräne-Attacke. Jedoch war kein Arzt zu sprechen. Die
Krankenpfleger durften mir nichts geben. Mein Gepäck, in dem sich meine
Bedarfsmedikation befand, war nicht mehr auffindbar. Das Zimmer, in dem ich
lag, war zudem verdreckt. Es war ein Fiasko – und ich war heilfroh, am nächsten
Tag entlassen zu werden.
Meine starken Leistenschmerzen blieben mir jedoch erhalten. Mit der Zeit
entwickelte ich Gehprobleme. Während ich anfangs zeitweise humpelte, brauchte
ich einige Wochen später Gehstützen. Gleichzeitig kamen ich große Schmerzen im
Sprunggelenk und in der Wade hinzu. Taubheitsgefühle im rechten Fuß traten
sporadisch auf. Zudem konnte ich aufgrund der starken Schmerzen in der Leiste
kaum mehr aufrecht auf einem Stuhl sitzen. Die veranlassten MRTs waren jedoch
mehr oder weniger ohne Befund. Ich selbst geriet zunehmend in Panik und bemühte
mich um Termine bei Fachärzten. Im Krankenhaus spritzte man mir örtliche
Betäubungsmittel in die Nervenbahnen der Leiste, was jedoch nur zeitweise half.
Eine Orthopädin gab mir Opiat-Infusionen. Bei einem Neurologen wurde ein
S1-Syndrom festgestellt. Zudem zeigte die Nervenleitmessung an der Wade kein
Signal auf. Aber keiner wusste, was wirklich los war. Bei einem Leistenexperten stellte sich dann heraus,
dass ich unter einer Reizung der inguinalen Nerven leide. Aber auch dieser konnte
mir nicht sagen, was dagegen zu tun ist. Ich wiederum war bettlägerig und am Ende meiner Kraft. Im Nachhinein hatte ich durch die OP einen Riesencrash erlitten.
desaströse stationäre schmerztherapie
[1] Heute weiß ich, dass die Krampfanfälle u.a. auf die regelmäßigen Crashs, die Mastzellaktivierung sowie auf die Nebenwirkung eines Antidepressivums zurückzuführen waren. Seitdem ich das Antidepressivum ausgeschlichen habe, hatte ich keinen einzigen Krampfanfall mehr.
[2] Als Neurasthenie bezeichnet man eine vermehrte geistige Ermüdbarkeit bzw. Erschöpfung nach geringer körperlicher Anstrengung. Heutzutage wird diese Diagnose kaum mehr gestellt.
In Hinblick auf MCAS ist wiederum der Verein MCAS-hope.de sowie die
Initiative von Dr. Nina Kreddig mastzellenhilfe.de mit dem Fachnetzwerk zu
nennen.
Die Schmetterlingsumarmung ("Butterfly Hug" oder "Hug of self-love") hat sich bewährt, um den eigenen Stress herunterzur...